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Vergewaltigung unter Rüden! Eine Fallgeschichte

Vergewaltigung unter Rüden! Eine Fallgeschichte

Vergewaltigung unter Rüden! Eine Fallgeschichte

Vor fünf Wochen erreichte mich der Anruf einer verzweifelten Hundehalterin. Sie erzählte mir am Telefon, dass es seit einiger Zeit zwischen ihren beiden unkastrierten Rüden (Max, Beagle Mix 7 J und Marvin, Appenzeller Mix, 1,5 J) zu heftigen Auseinandersetzungen kommt. Zum Zeitpunkt des Anrufs konnten die beiden Jungs nur noch getrennt gehalten werden. Als Besonderheit gilt hier zu erwähnen, dass es beim Spaziergang mit beiden Hunden zu keinerlei Problemen kommt. Sobald sie sich aber wieder im eigenen Garten oder Haus befinden, beginnt der Jüngere der beiden (Marvin) augenblicklich mit ausgeprägtem Drohverhalten in Richtung des älteren Rüde, welches in der jüngeren Vergangenheit meist unmittelbar mit einem Angriff quittiert wurde. Verletzungen gab es bisher ausschließlich auf Seiten des jüngeren Rüden. Laut Auskunft der Besitzer hat sich der Jüngere – abgesehen von dem unübersehbaren Drohverhalten – körperlich (noch) nicht zur Wehr gesetzt.

Auf dem ersten Video sieht man die Situation zum Zeitpunkt des ersten Haustermines mit mir. Konkret: Marvins Reaktion beim Anblick von Max. Ich war wirklich überrascht von der Heftigkeit, wie Marvin auf Max reagierte. Der wirkte mit seinem empörten und typischen Beaglegebell (im Hintergrund zu hören) relativ harmlos im Gegensatz zu dem überdeutlichen Drohverhalten, welches ihm von dem jungen Rüden um die Ohren geschmettert wurde. Trotzdem wurde Marvin von den Besitzern als Opfer beschrieben. Aber wie passte das alles zusammen?

Bei dem nachfolgenden Anamnesegespräch ging es mir vor allem darum, so viele Hintergründe wie möglich über die beiden Hunde und deren gemeinsame Geschichte zu erfahren. Es ist nicht untypisch, dass es zwischen unkastrierten Rüden auch mal zu Reibungen kommen kann. Vor allem dann, wenn der Juvenile langsam, aber sicher erwachsen wird – und nicht zuletzt aufgrund des gesteigerten Testosteronhaushalts – vor allem auch an Selbstsicherheit gewinnt. Dennoch sagte mir mein Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Die ganze Konstellation ergab zu diesem Zeitpunkt noch kein rundes Bild für mich.

Ergänzend ist noch zu erwähnen, dass Marvin – der Jüngere – ein eher unsicherer und instabiler Charakter ist. Max verhielt sich hingegen ganz Beagle typisch: selbstbewusst, hartnäckig in seinen Belangen und natürlich stur. Es stellte sich heraus, dass Max immer wieder stark einschränkendes Verhalten gegenüber seinem jungen Weggefährten gezeigt hat. Aber das war noch nicht alles: Regelmäßig degradierte er den jungen Rüden zum Sexualobjekt und benutze ihn (ja „benutzte!“) um seine Gelüste zu befriedigen. Genauso wurde es auch von den Besitzern beschrieben. Dabei packte er Marvin am Hals und drückte ihn regelrecht zu Boden. Irgendwann – und ich vermute, dass es mit der Pubertät und damit einhergehenden veränderten Hormonstatus zu tun hat – lies sich das Marvin nicht mehr ohne weiteres gefallen und begann damit sich zumindest körpersprachlich zur Wehr zu setzen. Max reagierte auf Marvins Abwehrreaktionen aber umso heftiger und es kam zu ersten Verletzungen auf Seiten von Marvin. Spätestens jetzt bemerkten die Besitzer, dass hier etwas gehörig schiefläuft und begannen damit die Hunde – abgesehen vom gemeinsamen Spaziergang – so gut es ging voneinander zu trennen. Bis es zu den sexuellen Übergriffen kam, war Max für Marvin immer wie ein großer Bruder und sein Vorbild gewesen.

Ist Max homosexuell?

Auf mein Nachfragen stellte sich heraus, dass Max ausschließlich Interesse an anderen Rüden zeigt. Hündinnen ignoriert er hartnäckig – ja sogar dann, wenn diese läufig waren. Ich durfte schon viele Hunde kennenlernen, bei denen ich aufgrund ihres Verhaltens die Hypothese aufstellte, dass sie durchaus homosexuell sein könnten. Und auch bei Max lag aus den genannten Gründen genau diese Vermutung nahe. Homosexualität an sich würde selbstverständlich kein Problem darstellen. Das Problem bestand vielmehr darin, dass Max seine sexuellen Vorlieben ungehemmt an Marvin auslebte, der über die regelmäßige Vergewaltigung alles andere als glücklich war. Beidseitiger Konsens und Einverständnis sieht eindeutig anders aus.

Wissenschaftliche Untersuchungen zur Homosexualität bei unseren Haushunden sind jedoch fast keine Vorhanden. Dafür gibt es eine Vielzahl an Studien über andere Tierarten, wo Homosexualität quasi als natürliches Verhalten belegt wurde. Beispielsweise hat man im Nürnberger Zoo festgestellt, dass sich 8-10% der Schafböcke ausschließlich mit männlichen Tieren paaren. An weiblichen Tieren zeigen sie keinerlei Interesse. Diese Liste könnte man mit unzähligen anderen Tierarten fortführen. Warum sollten Hunde hier eine Ausnahme darstellen?

Der weitere Trainingsweg

Trotz der außergewöhnlichen Situation: Am Ende ergab die Gesamtsituation ein rundes Bild. Einerseits war da Max, der vergewaltigende Beagle und andererseits Marvin, der absolut das Vertrauen verloren hatte und bei jeder Annäherung von Max gezwungen war, diesem die Zähne zu zeigen.

Die Prognosen waren zu diesem Zeitpunkt nicht besonders gut und die Situation war schon sehr verfahren. Wenn sich nicht bald etwas änderte, war klar, dass einer der beiden Hunde abgegeben werden musste. Das kam für die Besitzer aber nur im äußersten Notfall in Frage und wir begannen damit einen „Trainingsplan“ für den weiteren Umgang zu erstellen.

Wie so oft lag es nun im ersten Schritt an den Hundehaltern, dass sie erzieherisch ihrer Aufgabe nachkommen und Marvin vor Max unbedingt schützen mussten. Das erreicht man jedoch nicht dadurch, dass man die Hunde dauerhaft voneinander trennt. Das sollte immer nur eine kurzfristige Maßnahme sein. Auf Dauer wird es dann meistens schlimmer. Ohne jetzt auf alle Einzelheiten einzugehen, ging es im ersten Schritt vor allem darum, dass möglichst viele gemeinsame Situationen mit beiden Hunden geschaffen wurden.

Der erste Schritt war also, dass sich beide Hunde – für den Anfang noch an der Leine – wieder entspannt (!) nebeneinander aufhalten konnten. Das erreichten wir durch bestimmte Vorgaben meinerseits zuerst im Garten und später auch im Haus. Max musste lernen, dass er sich – immer vom Menschen kontrolliert – nicht einfach so an Marvin heranpirschen durfte. Marvin musste lernen, dass er sein Drohverhalten von nun an zu unterlassen hatte. Beispielsweise hatten beide Hunde mit wenigen Metern Abstand zueinander jeweils auf der Decke zu liegen. Dementsprechend mussten die Besitzer wieder ein Mitspracherecht darüber bekommen, wer sich wie zu verhalten hat.

Max, der in der Vergangenheit ziemlich verhätschelt wurde, fand das anfangs ziemlich doof. Marvin hingegen entspannte sich zunehmend, als er feststellten durfte, dass die Halter die Situationen kontrollierten und ihn entsprechend vor Max schützten. Auch wenn sich dieser ganz in seiner Nähe aufhielt.

Kastration?

Grundsätzlich bin ich absolut kein Fan davon Verhaltenstherapie mit dem Skalpell – also durch Kastration – zu betreiben. In den allermeisten Fällen erzielt man dadurch nämlich ein völlig anderes Ergebnis, als man sich ursprünglich gewünscht hat. Kastration und die Auswirkungen auf das Verhalten unserer Hunde wäre ein abendfüllendes Thema, auf das ich jetzt aber nicht zu sehr eingehen kann. Ganz grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Hunde die Chance erhalten sollten geistig (!) ausreifen und somit erwachsen zu werden, bevor man hier hormonelle Eingriffe vornimmt. Es sei denn es liegen medizinische Gründe für eine Kastration oder andere Ausnahmen vor.

Im Hinblick auf Max war mir aber ziemlich schnell klar: Um die größtmögliche Chance auf ein friedliches Miteinander der beiden Rüden gewährleisten zu können, musste Max kastriert werden.

Ich kam diesem Schluss, weil das Verhalten von Max gegenüber Marvin zu einem großen Anteil sexuell motiviert war. Und genau dann sind – durch den Wegfall des größten Teils der Testosteronproduktion – die Chancen am größten, dass wir hier mit der Kastration eine Veränderung des unerwünschten Verhaltens erzielen.

Es war zwar schön und gut, dass sich die beiden Jungs wieder entspannt in einem Raum aufhalten konnten. Aber bei tatsächlichem Sozialkontakt der beiden war anzunehmen, dass Max früher oder später wieder seine Vergewaltigungen aufnehmen würde. Die Hoffnung ist und war, dass Max nach der Kastration einfach kein sexuelles Interesse an Marvin hat und so Raum für andere Verhaltensweisen und Interaktionen zwischen den beiden geschaffen wird.

Der Vollständigkeit halber ist noch zu erwähnen, dass eine Kastration Marvins aufgrund seines Alters und seiner eher instabilen und unsicheren Persönlichkeit, zum jetzigen Zeitpunkt keinesfalls in Frage kommt. Dementsprechend würde sich eine Kastration Marvins mit ziemlicher Sicherheit nachteilig auswirken.

Die Entscheidung war also gefallen. Für Max hieß es: Bye Bye Beagleklöten!

Auch hier noch eine kleine Ergänzung für aufmerksame Leser: Normalerweise empfehle ich vor einer „richtigen“ Kastration von Rüden gerne eine chemische Kastration – einen sogenannten Kastrationschip. Bei Max war das aus mehreren Gründen aber keine Option.

Ende gut alles gut?

Max wurde mittlerweile vor gut zwei Wochen kastriert. Die Besitzer der Hunde setzten meine Vorgaben sehr gewissenhaft um und das vorläufige Ergebnis sieht derzeit sehr vielversprechend aus. Die beiden Jungs sind gerade dabei einen Neustart hinzulegen und beginnen gerade damit sich wieder friedlich einander anzunähern (siehe Video). Wie sich die Kastration von Max im Endeffekt auswirkt, wird man erst in den nächsten Wochen sehen, weil es nach der Kastration typischerweise einige Zeit dauert, bis das Testosteron im Körper entsprechend herunterfährt.

To be continued…

Manuel Kregl, 19.6.2020

Update: 22.6.2020: Die letzte Videosequenz ist von heute. Die Besitzer berichten, dass es sogar schon vorgekommen ist, dass Max Marvins Ohren geputzt hat. Es sieht gut aus!

Update 21.6.2023:

Nachdem ich länger nichts von den beiden gehört habe, hab ich heute dieses Bild von den Halter bekommen, Zusammen mit der Info, dass es "nur noch Harmonie und Einklang" zwischen den beiden gibt.

 

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