Der DogAdvisor Blog

Hier finden sich meine Gedanken zu aktuellen Themen, Geschichten aus dem Alltag oder fachliche Beiträge zu unterschiedlichen Themen rund um das Zusammenleben mit Hunden!
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Mittelitalien - Hundehaltung wie Damals

Mittelitalien - Hundehaltung wie Damals

Es ist Mitte September. Ich befinde mich seit mittlerweile zehn Tagen in Italien. Genauer gesagt am Bolsenasee. Der See liegt circa eine Stunde nördlich von Rom und ist in unseren Breiten ziemlich unbekannt. Wir haben ein großes Haus gemietet, inklusive großem Garten, Pool und Blick auf den Bolsenasee. Lotti und Lenny sind natürlich auch dabei. Perfekte Voraussetzungen also, um einen entspannten Urlaub mit Hund zu verbringen. Die 10 stündige Anreise mit dem Auto nimmt man dafür gerne in Kauf.

Den Anstoß für diesen Text hatte ich aufgrund einer für mich sehr spannenden Begegnung, welche mir heute widerfahren ist. Aber dazu später mehr…

Italien ist ja auch bekannt für die große Anzahl an Straßenhunden. Angeblich sollen es allein 700.000 Tiere sein, die vor allem im Süden Italiens die Straßen bevölkern. Dazu kommt noch eine Vielzahl an verwilderten Straßenhunden, die sich im Laufe der Zeit fast gänzlich vom Menschen losgesagt haben. Hier in Mittelitalien und rund um den Bolsenasee habe ich aber bisher keinen einzigen Straßenhund zu Gesicht bekommen. Dennoch: Hier in der Gegend gibt es sehr viele Hunde. Während ich hier abends auf der Terrasse sitze und diese Zeilen schreibe, gibt es nur selten Unterbrechungen, in denen ich keinen Hund bellen höre. Man kann davon ausgehen, dass so gut wie jedes Haus mit Garten auch mindestens einen Hund beherbergt. Obwohl man auch tagsüber viele Italiener mit ihren überwiegend kleinen Hunden durch die Stadt spazieren sieht, werden die allermeisten Hunde augenscheinlich als Wachhunde gehalten. Gefühlsmäßig lautet die Devise: Hauptsache es bellt.

Wir denken ja oft, dass wir der Nabel der Welt sind, wenn es um den richtigen Umgang mit Hunden geht. Dabei wird meistens vergessen warum Hunde überhaupt zum „besten Freund des Menschen“ wurden. Die Aufgabe Haus & Hof zu bewachen, Eindringlinge zu melden, fernzuhalten und gegebenenfalls auch wieder zu vertreiben war mit Sicherheit eine der nützlichsten Fähigkeiten die Hunde für den Menschen haben konnten.

„War“ deshalb, weil es heutzutage in unseren Breiten und vor allem in Ballungsräumen ganz anders aussieht. Ist halt blöd, wenn man aus der Mietwohnung fliegt, weil der Hund jedes Geräusch aus dem Stiegenhaus zum Anlass nimmt, um lauthals zu kläffen. Die Anwesenheit von Hunden soll uns Sicherheit geben, aber sie sollen dabei möglichst die Klappe halten. Viele Jahrtausende fanden wir das Verhalten ziemlich geil. Aber jetzt soll plötzlich Schluss damit sein, weil sich die Zeiten geändert haben? Hier in Italien stört sich aber wirklich keiner an der Dauerbeschallung. Im Gegenteil. Es ist ja so gewünscht.

Die weißen Riesen

Und jetzt zu dem angekündigten Erlebnis: Heute Vormittag waren wir mit Lotti und Lenny in einem nahegelegenen Naturpark unterwegs. Die Hunde liefen natürlich frei und während des gesamten Spaziergangs begegneten wir keiner Menschenseele. Nach einer etwa 1-stündigen Wanderung durch dichten Wald waren wir auf einer Anhöhe angelangt. Quasi aus dem Nichts war plötzlich lautes, drohendes und sehr eindringliches Gebell zu vernehmen. Bei genauerem Hinsehen konnte ich zwischen den Bäumen hindurch auf eine große Wiese sehen. Dort erblickte ich zwei weiße Riesen, welche sich mit lautem Getöse auf uns zu bewegten. Im Hintergrund war noch weiteres Gebell zu vernehmen. Sofort machte sich unweigerlich ein Gefühl in mir breit: Weg hier! Doch vorher mussten noch die beiden Hunde – die ja immer noch freiliefen – herangerufen werden. Gesagt getan. Das wäre jetzt wirklich kein guter Moment gewesen, wenn sich die beiden dafür entschieden hätten nicht sofort zu kommen. Hunde angeleint und erst mal geordnet den Rückzug angetreten.

Nachdem das Gebell hinter uns etwas leiser wurde konnte ich mich kurz ordnen. Eigentlich war mir vom ersten Moment an intuitiv klar womit wir es hier zu tun hatten, aber das Bild war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig für mich. Fachkundige Personen wissen vermutlich schon worauf ich hinaus will. Und so ging ich ohne die beiden Hunde nochmal zurück und verschaffte mir aus einer anderen Position einen besseren Blick auf die Szenerie. Und plötzlich konnte ich sie sehen: Schafe! Dicht zusammengekauert konnte ich eine mittelgroße Herde von etwa 150 Tieren erspähen. Kein Mensch weit und breit. Musste auch keiner dabei sein. Denn die Herde wurde von vier ausgewachsenen Maremmano Abruzzese bewacht und begleitet. Diese befanden sich gerade in höchster Alarmbereitschaft.

Es dauerte aber nicht lange und der größte der Vier hatte mich in meinem Beobachtungsposten auch schonwieder entdeckt. Als die Gruppe erneut mit großem Getöse auf mich zugelaufen kam, verabschiedete ich mich nun endgültig in den Wald.

Ich wusste natürlich, dass sich die Hunde nicht allzu weit von ihren Schutzbefohlenen entfernen würden. Aber vor allem wenn man eigene Hunde dabeihat, empfiehlt es sich hier absolut kein Risiko einzugehen. Noch dazu in einer gänzlich fremden und verlassenen Gegend. In ganz Italien leben heutzutage wieder über 2000 Wölfe. Was die Hunde hier tun ist also mehr als nur ein Hobby.

Im Laufe meiner Tätigkeit als Hundetrainer & Verhaltensberater sind mir schon so einige Herdenschutzhunde & Herdenschutzmixe untergekommen. Aufgrund ihrer ganz speziellen Art und mit ihrem unbestechlichen und loyalen Charakter, hat dieser spezielle Hundetyp schon immer eine ganz besondere Faszination auf mich ausgeübt. Bisher hatte ich aber noch nie das Vergnügen, ihnen bei Ihrer tatsächlichen Bestimmung über den Weg zu laufen und diese unglaubliche Entschlossenheit am eigenen Leib zu fühlen.

Der richtige Weg

Viele der heute unerwünschten Verhaltensweisen hatten (und haben immer noch) einen bestimmten Zweck und sind in Genetik und Rasse unserer Hunde fest verankert. Egal ob es sich dabei um Jagd-, Territorial oder Aggressionsverhalten handelt. Aber bitte nicht falsch verstehen: Ich persönlich möchte auch keinen Dauerkläffer in Wohnung und Garten oder das mir mein Hund sämtliche Katzen aus der Nachbarschaft apportiert. Glücklicherweise sind unsere Hunde sehr anpassungsfähig. Höchstwahrscheinlich viel anpassungsfähiger als wir Menschen.

Dieser Betrag sollte ein kleiner Gedankenanstoß zu unserer heutigen Art- & Weise über das Zusammenleben von Mensch & Hund sein. Dabei lohnt es sich hin und wieder einen Blick über den Tellerrand zu wagen. Gerade weil wir in unseren Breiten oft überzeugt davon sind, den einzig richtigen Weg für uns gepachtet zu haben. Aber gibt es den überhaupt?

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